Der im deutschen Kaiserreich verächtlich als
„englische Krankheit“ oder „Fußlümmelei“ verpönte Fußballsport fand zu Beginn
des 20. Jahrhundert immer mehr Anhänger – auch in Herne. Zu verdanken war dies
dem Essener Willi Stens, der dem 1903 gegründeten BV Steele angehörte. Als er
bei der hiesigen Maschinenfabrik Baum sein Volontariat absolvierte, rührte er in
Herne derart die Werbetrommel für das runde Leder, dass sich am 13. Juni 1904
sechzehn junge Männer im altehrwürdigen Rittersaal des Schlosses Strünkede
einfanden, um einen eigenen Fußballverein zu gründen.
 |
 |
|
 |
|
"Fußlümmelei" |
|
Die Gründerelf von
1904 |
Nur vier Tage später hatte man sich auf den
Namen „Sport-Club Westfalia Herne“ geeinigt, und Willi Stens fungierte als
erster Präsident des Vereins. Auf einer angemieteten Wiese wurde eifrig gekickt,
und so konnten die Herner Pioniere bereits im Sommer 1905 mit zwei Mannschaften
am westdeutschen Spielbetrieb teilnehmen. 1908 gelang gar der Aufstieg in die
Bezirksklasse, der seinerzeit höchsten westfälischen Spielklasse, die man
allerdings nach nur einem Jahr wieder verlassen musste.
Mit Germania Herne (1909) und dem SV Sodingen
(1912) gründeten sich zwei Vereine, mit denen sich der SCW in den folgenden
Jahrzehnten packende Lokalduelle liefern sollte. Anfang 1914 änderte die
Westfalia die Vereinsfarben von Rot-Weiß in Blau-Weiß, doch im selben Jahr
geriet der Sport mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs mehr und mehr zur
Nebensache. Meisterschaften kamen in den nächsten Jahren gar nicht mehr zur
Austragung oder wurden mitten in der Saison abgebrochen.
Die zwanziger Jahre waren geprägt von turbulenten Ereignissen und ständigen
Neuordnungen der Ligen und des Spielbetriebs. Als französische Truppen 1923 das
Ruhrgebiet besetzten, musste sich der Verein, der mit über 1.000 Mitgliedern zu
einem der größten in Westdeutschland angewachsen war, auf Anordnung der
Besatzungsbehörden „offiziell“ sogar Auflösen – inoffiziell existierte der
Verein jedoch weiter. Die 1925 vollzogene und bis 1931 andauernde Fusion mit
Fortuna Herne zu „Westfalia-Fortuna Herne“ brachte dem Club sportlich einen
enormen Aufschwung. Zwei Aufstiege in Folge (1929 und 1930) katapultierten Herne
wieder in die höchste Spielklasse, und nur ein verloren gegangenes
Entscheidungsspiel verhinderte 1931 die Teilnahme an der Endrunde um die
Westdeutsche Meisterschaft.
 |
Der
Aufstieg ist endlich geschafft! Mannschaft und Anhang
am 28. Mai 1928 |
Unter der Führung von Hermann Kracht, der von 1925 bis 1945 sowie von 1948 bis
1958 als Vereinsvorsitzender fungierte, setzte der SCW in der Zeit von 1933 bis
1945, dem dunkelsten Kapitel in der Geschichte Deutschlands, zu seinem ersten
Höhenflug an. Zwar wurde man im Sommer 1933 vom Verband für die neu ins Leben
gerufene Gauliga, die fortan die höchste Spielklasse in Westfalen stellen
sollte, nicht berücksichtigt. Am 24. Juni 1934, jenem Tag, an dem der FC Schalke
04 erstmals Deutscher Meister wurde, sicherte sich die Westfalia mit einem
2:1-Erfolg in Schwelm aber auf sportlichem Wege den Aufstieg in die damalige
Eliteklasse. Die Einweihung des neuen Stadions am Schloss Strünkede geriet zu
einem zusätzlichen Meilenstein.
 |
Westfalen-Meister 1933/34: SC Westfalia 04 |
Zehn Jahre lang duellierten sich die Blau-Weißen erfolgreich mit dem FC Schalke,
Borussia Dortmund und ab 1938 auch mit dem frisch fusionierten VfL Bochum. 1937
konnte der SCW hinter den zehn Jahre lang schier unbezwingbaren Schalker Knappen
in der Gauliga Westfalen sogar die Vizemeisterschaft feiern, und auch der
8:2-Triumph über Borussia Dortmund in der nächsten Spielzeit sorgte für
Begeisterungsstürme.
1945 lag Deutschland nach schlimmen Jahren der Nazi-Diktatur in Trümmern, und
damit auch das Vereinsleben. Erschwerend kam hinzu, dass die britische
Kommandantur das Stadion sperrte und dem SCW den Spielbetrieb zunächst
verweigerte. Hintergrund war vor allem die national-konservative Gesinnung des
Präsidenten Kracht in der NS-Zeit. Mit einem Freundschaftsspiel gegen eine
britische Soldatenelf wurde schließlich die Rückkehr ins eigene Stadion
vollzogen.
Ungeachtet eines sensationellen 3:1-Efolgs über Schalke im März 1946 kam die
Herner Westfalia sportlich nur mühsam wieder auf die Beine. Bei der Einführung
der Oberliga West wurde der SCW erneut nicht berücksichtigt. Erst sieben Jahre
später – pünktlich zum 50. Vereinsjubiläum – gelang der Sprung in die höchste
Spielklasse mit einem 2:1-Sieg in Wattenscheid. Da dem Lokalrivalen SV Sodingen
der Oberliga-Aufstieg schon 1952 gelungen war, spielten nun für viele Jahre zwei
Herner Clubs im Fußball-Oberhaus. So etwas gab es ansonsten meist nur in
Weltstädten wie Berlin, Hamburg oder München.
Doch es sollte noch besser kommen. Unter Trainer-Legende Fritz Langner
verbesserte sich die Westfalia von Jahr zu Jahr, um im April 1959 vorzeitig den
größten Erfolg in der Vereinsgeschichte perfekt zu machen: Der SCW wurde
Westdeutscher Meister und spielte in der Endrunde um die Deutsche Meisterschaft
unter anderem gegen den Hamburger SV.
|
 |
|
|
Die
Meisterelf von 1959: O.v.l.: Trainer Fritz Langner, Alex Kraskewitz,
Horst Wandolek, Gerd Clement, Alfred Pyka, Siggi Burkhardt, Willi
Kellermann, Werner Losch. U.v.l.: Erich Ketheler, Hans Tilkowski, Jupp
Bothe, Helmut Benthaus |
|
Auch 1960 bestätigte man die
eigene Leistungsstärke mit der Vizemeisterschaft und der erneuten Teilnahme an
der Endrunde um die „Deutsche“. Da verwundert es nicht, dass auch Bundestrainer
Sepp Herberger gerne auf Herner Spieler zurückgriff. So standen 1958 mit Hans
Tilkowski, Helmut Benthaus und Alfred Pyka in einem Länderspiel gegen Ägypten
gleich drei Westfalia-Spieler in der Startelf der DFB-Auswahl.
 |
Der SCW im
Spiel gegen SW Essen am 24. März 1962 |
Als 1963 die Bundesliga eingeführt wurde, fiel für das Herner Fußball-Märchen
der Vorhang. Der SV Sodingen war zu diesem Zeitpunkt längst in der Versenkung
verschwunden, und da der Vorstand das Risiko eines Bundesliga-Starts scheute,
kickte die Westfalia fortan nur noch im Unterhaus. Zahlreiche Leistungsträger
verließen den Verein, der in der Regionalliga in den sechziger Jahren zumeist
nur Mittelmaß verkörperte. Zwar konnte ein Abstieg in die seinerzeit
drittklassige Verbandsliga 1970 eindrucksvoll korrigiert werden, aber 1974
verwunderte es niemanden, dass der SCW auch beim Start der 2. Bundesliga nicht
dabei war.
Mit dem Einstieg des Wanne-Eickeler Geschäftsmanns Erhard Goldbach erfolgte ein
nochmaliger Höhenflug. Dank neuer Finanzkraft rauschte die Westfalia nur so
durch die Verbandsliga und sicherte sich im Juni 1975 in der Aufstiegsrunde mit
einem 6:0-Erfolg über den Spandauer SV Berlin das Ticket für die 2. Bundesliga
Nord. Vier grandiose Jahre folgten, in denen Kultspieler wie Jochen Abel, Lutz
Gerresheim oder Sören Busk das SCW-Trikot trugen. Ein 2:1-Sieg gegen Borussia
Dortmund vor 27.000 Zuschauern, aber auch packende DFB-Pokalspiele gegen den 1.
FC Köln (2:3) und den 1. FC Kaiserslautern (1:3) erzeugen bei allen Zuschauern,
die damals live dabei waren, noch heute wohlige Erinnerungsschauer.
|
 |
|
|
SCW Goldin Herne, Saison
1977/78: oben v.l.: Trainer Horvath, Präsident Goldbach,
Ochmann, Lütkebohmert, Gerresheim, Laufer, Scheer, Busk, Harsanyi,
Kuczinski,
Masseur Günnewig, Manager Stubbe. Unten v.l.: Brücken, Bals, Fischer,
Bradler,
Matuschak, Etterich, Sinnigen, Kazmirczak, Abel, Betreuer Telkemeyer. |
|
Zu Beginn der Saison 1979/80 war alles vorbei. Das Tankstellen-Imperium „Goldin“
des Westfalia-Mäzens ging pleite, und Erhard Goldbach wurde wegen
Steuerhinterziehung in Millionenhöhe sogar polizeilich gesucht. Statt des
anvisierten Aufstiegs in die 1. Bundesliga sah sich der Verein aus Finanzgründen
gezwungen, die Profi-Lizenz zurückzugeben und einen Neustart in der
Amateur-Oberliga Westfalen zu wagen. Mit einem Team, das überwiegend aus
Landesliga-Spielern bestand, schaffte Trainer Horst Wandolek dort den nicht für
möglich gehaltenen Klassenerhalt.
Der ganz tiefe Fall konnte somit abgewendet werden. In kleinen Schritten
mauserte sich der SCW wieder zu einer Spitzenmannschaft im westfälischen
Amateurfußball. Unter Trainer Pedro Milansincic feierte der Verein 1988 hinter
Preußen Münster die Oberliga-Vizemeisterschaft und die damit verbundene
Teilnahme an der Endrunde um die Deutsche Amateurmeisterschaft. Hier schied man
im Viertelfinale unglücklich gegen den TSV Vestenbergsgreuth aus, der wenige
Jahre später auch den FC Bayern München aus dem DFB-Pokal kegelte.
Nach einem regelrechten Seuchenjahr stieg der vor Saisonbeginn als Mitfavorit
gehandelte SCW 1990 in die Verbandsliga Westfalen ab. Zum ersten Mal in der
Clubgeschichte war die Westfalia nur noch viertklassig. Nachdem der
Wiederaufstieg zweimal hintereinander knapp verpasst wurde, zogen finanzielle
Probleme den Verein noch stärker in die sportliche Bedeutungslosigkeit hinab.
Nach der Wiedereinführung der Regionalliga und dem eigenen Abstieg in die
Landesliga strandete man 1996 in der Sechstklassigkeit.
Unter dem neuen Vereinspräsidenten Jürgen Stieneke und dem zum Chefcoach
ernannten Torhüter Bernd Giese erwachte der Club zu neuem Leben. Die Westfalia
feierte zwei Aufstiege in Folge und meldete sich nach einem 5:0-Triumph in
Meschede, den über 1.000 mitgereiste Herner Fans bejubelten, in der Oberliga
Westfalen zurück. Zudem war es Giese gelungen, eine sympathische Mannschaft
zusammen zu stellen, mit der sich in der Stadt wieder jeder identifizieren
konnte.
In der Saison 2002/03 konnte davon leider nicht die Rede sein. Nach vier Jahren
in der Oberliga stieg die Westfalia mit einem Kader, der nicht den Ansprüchen
entsprach, wieder in die Verbandsliga ab. Trainer Frank Schulz gelang es jedoch
innerhalb kürzester Zeit, die Mannschaft vollkommen umzukrempeln und zu einer
erfolgreichen Einheit zu formen. Das Ergebnis war eine sportlich fantastische
Spielzeit 2003/04, in der man am Ende aber hauchdünn den direkten Wiederaufstieg
in die Oberliga verpasste.
 |
Meister
der Saison 2004/05: SC Westfalia 04 Herne |
Dies wurde dann in der Saison
2004/05 erfolgreich nachgeholt. Sami El-Nounou avancierte zum Spieler der
Saison. Mit 30 Toren stellte er den Vereinsrekord von Jochen Abel aus der Saison
1975/76 ein. Zusammen mit seinem Sturmkollegen Michael Erzen erzielte er 54 Tore
und der SCW schaffte es verdient, den Ligakrösus SSV Hagen auf den 2. Platz zu
verweisen. Von 2005/06 bis
2007/08 spielte der SCW wieder in der Oberliga Westfalen. In der letzten Saison
verpasste der SCW mit Platz 5 nur um einen Platz die Qualifikation zur
Regionalliga und spielt nunmehr in der neu geschaffenen NRW-Liga.
(aufgezeichnet von Ralf Jelitto)
|